Die Kunst der Edelsteingravur

Ich kann mich noch gut an meine Verblüffung erinnern, als ich das erste Mal die Werkstatt unseres Steingraveurs betrat und an jedem Arbeitsplatz eine wahre Unzahl verschiedenster Fräser sah. Noch größer war mein Erstaunen, als ich einen der Graveure dabei beobachtete, wie er auf seiner kleinen Drehbank aus einem Stück Werkzeugstahl einen Fräser selbst drehte.

Auf Nachfrage bestätigte mir der Meister, dass alle Graveure sich ihr „Geschirr“ selbst herstellen, weil handelsübliche Fräser für Gravurzwecke nicht rund genug laufen. Egal ob Kugel-, Scheiben- Kegel- oder Nadelform, jeder Fräser wird selbst gedreht. Aber es kommt sogar noch besser.

Mir erschien es etwas unwirtschaftlich, dass jeder Graveur seinen eigenen Fräsersatz hatte. Wäre es nicht besser, wenn sich zumindest zwei Graveure einen Satz teilten? Der Meister schmunzelte über meine Ahnungslosigkeit und beschied mir, dass ein Fräser nur auf der Drehbank, auf der er hergestellt wurde, rund genug für die Gravur läuft. Sich rasch vom Nachbarn einen Fräser auszuleihen, weil es der eigene nicht mehr tut, läuft also nicht.

Nun gut, der Werkzeugsatz ist also komplett, der Steinschleifer hat den benötigten Lapis Lazuli in der richtigen Form und Größe rechtzeitig geliefert und der Meister ist bereit für den nächsten Auftrag. Wie geht es nun weiter?

Zunächst wird die vom Kunden gelieferte Vorlage von Hand mit einem Permanent Marker als grobe Skizze auf den Stein übertragen, eine Aufgabe für den Lehrling im ersten Ausbildungsjahr. Ob die Vorlage ein anderer, manchmal auch beschädigter Stein, ein Abdruck oder eine Zeichnung ist, ist prinzipiell egal, solange sie deutlich genug ist.

Dann wird der lose Stein aufgekittet bzw. der Ring mit dem bereits gefassten Stein festgeklemmt, die Vorlage in Sichtweite aufgestellt und los geht´s. Erstaunlich dabei ist, dass beim Gravieren nicht das Werkzeug sondern das Werkstück bewegt wird. Nur zur Anfertigung großer Objekte wird eine biegsame Welle eingesetzt. Bei der klassischen Wappen- u. Monogrammgravur wird, anders als beim Goldschmieden, nicht der Fräser zum Ring, sondern der Ring bzw. Stein zu den mit 3-5000 Umdrehungen rotierenden Geschirren geführt. Der gesamte Gravurvorgang erfolgt also absolut freihändig – definitiv kein Job für Leute mit zittrigen Händen.


Graviert wird übrigens mit einer Mischung aus Diamantpulver und Öl, die mit Hilfe eines Federkiels zwischendurch immer wieder aus einer Schale auf den Fräser aufgetragen wird. Da wir einige Steinschleifer mit Werkzeug beliefern, witterte ich natürlich sofort ein Geschäft und bot unsere Dienste als Lieferant von Diamantpulver an.

„Das ist für unsere Zwecke nicht fein genug“, war die Antwort. Mein Einwand, die feinste Körnung betrüge 0-0,5 Mikron und die Steinschleifer wären damit hochzufrieden, erntete ein mildes Lächeln.
„Ja zum Polieren von Edelsteinen ist das sicher ausreichend“, meinte der Meister mit einem leicht spöttischen Ausdruck. „Wir mahlen uns unser Pulver selbst“, sagte er und wies auf zwei schwere Eisenmörser, „und zwar damit.“

Der Gravurvorgang selbst ist von einer für den Laien enervierenden Langsamkeit. Monogramme sind zwar vergleichsweise rasch erledigt aber bei reichhaltigen Wappen mit Helm, Helmdecken, Helmzier und vielleicht noch einem Schriftband wird der Stein alle paar Sekunden gereinigt und ein kontrollierender Blick auf die Vorlage geworfen. An heiklen Stellen misst sich der Fortschritt in Zehntelmillimetern.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Härte des Materials. Der klassische Lagenstein hat zwar „nur“ Härte 7, oft genug wird aber auch in Spinell oder sogar Saphir graviert. Neben der Genauigkeit gehört also auch die Geduld zu den Tugenden eines Edelsteingraveurs.

Nach meinem Besuch war mir angesichts des Aufwands, der mit dem Werkzeug getrieben werden muss und dem Höchstmaß an Präzision, das die Arbeit verlangt, sonnenklar, weshalb Edelsteingravuren teuer sind. Dafür erhält der Auftraggeber aber auch ein Produkt, das trotz allen technischen Fortschritts noch immer jeder Laser- o. Ultraschallgravur an Detailreichtum und Konturschärfe weit überlegen ist.